Zwei Frauen

MARIA THERESIA & INDIRA

Maria Theresia & Indira Gandhi

Eine Begegnung im Garten vom Schloss Schönbrunn

/ von Ani Barsegian

Wir lesen zwei Briefe von Maria Theresia und Indira Gandhi. In dieser fiktiven Begegnung treffen sich die beiden Frauen im Schloss Schönbrunn in Wien. Sie sind beide Geister, aber Maria Teresia weiß noch nicht, dass sie ein Geist ist. Indira Gandhi ist schon vor Jahren ein Geist gewesen. Indira Gandhi hat Deutsch gelernt an der FHWien, aber obwohl sie nicht aktiv teilnehmen konnte, hat sie zugehört und so hat sie Deutsch gelernt: Deswegen ist ihr Brief auf Deutsch geschrieben.

Meine Liebe, mein lieber Franz Stephan,

seit du gestorben bist, sind viele Dinge passiert. Ich habe dafür gesorgt, dass unsere hübsche Tochter Marie Antoinette verheiratet wurde. Jetzt wohnt sie in Frankreich mit Ludwig XVI. Jetzt sind alle unsere Kinder verheiratet. 

Diese Nacht habe ich einen ganz merkwürdigen Traum gehabt. Ich bin in unserem schönen Garten von Schönbrunn aufgewacht. Aber der Garten hatte sich ganz verändert. Es war noch grün und schön, aber überall gab es Bauern – in unserem Garten!! Diese Bauern haben viele Sprachen gesprochen, viele, die ich früher nicht gehört habe. Die Frauen trugen keine Kleider, sondern Hosen, ich war erstaunt – Gott sei Dank war es nur ein Traum! 

Es gab sogar Bauern, die mich geduzt haben. Andere haben gefragt, ob sie mit mir ein „Foto“ machen könnten. Wenn ich sie gefragt habe, was denn so ein „Foto“ sei, haben die meisten nur gelacht – so frech. Aber eine Dame hat es mir gezeigt, sie hatte so eine kleine Schachtel und mit der machte sie ein sogenanntes „Foto“. Es war fast wie ein Gemälde. Diese Dame war aus Frankreich und deshalb konnte ich mit ihr reden. Ich habe sie gefragt, wie es unserer Tochter Marie geht – und sie hat gelacht und gesagt, dass ich eine gute Schauspielerin bin und dass mein Kleid echt aussieht. Ich war verwirrt. Schauspielerin bin ich nicht, ich bin Kaiserin, Mutter und deine Ehefrau! 

Nach meinem Gespräch mit der Dame kam eine andere Frau zu mir. Sie erzählte mir, dass ihr Name Indira Gandhi sei, und sie wusste, wer ich war. Sie erklärte mir, dass sie gestorben war, und jetzt ein Geist ist – ich fand das schrecklich. Sie war früher die Premierministerin in Indien. Aber sie klang schon recht abgeklärt. Sie erklärte mir, welche Reformen sie in ihrem Land durchgeführt hatte und ich erzählte von meinen. Wir haben viele gemeinsame Interessen, beide unsere Väter haben regiert, beide verloren wir Mann und Kinder und wir haben beide gegen Armut gekämpft. Während unseres Gesprächs bin ich aufgewacht. 

Ich vermisse dich sehr.

Ich verbleibe als deine dir immer treu ergebene Ehefrau
Maria Theresia

Lieber Vater, 

obwohl du tot bist, schreibe ich dir jeden Tag. Ohne diese Briefe hätte ich den Verstand verloren. 

Heute habe ich Maria Theresia, die Kaiserin aus Österreich, getroffen. Wir haben uns zu der Zeit im Garten von Schönbrunn aufgehalten. Wie ich dir schon erklärt habe, bin ich auch tot, aber ich bin ein Geist. Leider kann ich dich nicht finden, vielleicht weil du schon im Paradies bist – aber ich hoffe, dass ich dich in der Zukunft wiederfinden werde. 

Maria Theresia lebt in einem Paralleluniversum, sie glaubt, dass sie noch lebt. Aber leider schwindet ihre Erinnerung jeden Tag. Ich habe mit Maria schon 34 Mal gesprochen, aber jedes Mal muss ich mich wieder vorstellen. Arme Frau. Ich mag es, mit ihr zu reden. Als ich noch lebendig war, fand ich ihre Geschichte sehr faszinierend. 

Leider kann ich nur mit anderen weiblichen regierenden Geistern reden und es gibt leider nicht so viele. Ich möchte mit Margaret Thatcher reden, mit ihr kann ich mein Englisch üben. 

Hoffentlich endet diese Geist-Periode bald und dann kann ich dich wieder sehen, lieber Vater. 

Liebe Grüße
Indira

Maria Theresia
Maria Theresia mit 35 Jahren (via Wikimedia Commons, gemeinfrei, Gemälde von Martin van Meytens, ca. 1752)

Maria Theresia von Österreich (1717–1780), war die Frau aus dem Thron der Habsburgermonarchie. Als sie 23 Jahre alt war, starb ihr Vater und durch die Krönung ihres Gatten wurde sie zur Kaiserin. Kaiserin – und Ehefrau und Mutter von 16 Kindern. Damals war weibliche Macht nicht vorstellbar. Maria Theresia war sehr praktisch veranlagt und verheiratete ihre Kinder mit Feinden. Sie setzte viele Reformen um. Man nannte sie die Schwiegermutter Europas.

Indira Gandhi
Indira Gandhi, 1967 (Wikimedia Commons, gemeinfrei, Ausschnitt aus einem Bild vom US Defense Department)

Indira Gandhi (1917–1984), war die Tochter des Ministerpräsidenten Indiens, er hat für Indiens Freiheit gekämpft. Die Karriere der Tochter weist erstaunliche Parallelen zu der ihres Vaters auf. Sie hat für die Unabhängigkeit Indiens gekämpft. Sie hat auch sehr kontroversielle Methoden genutzt gegen Armut – u. a. hat sie viele ärmere Männer zwangssterilisieren lassen. Am Anfang hat sie viel für Indien versprochen, aber leider konnte sie nicht alles erfüllen. Sie wurde machthungrig und wegen Korruption angeklagt. Sie wird als „die Mutter Indiens“ bezeichnet.

Zum Weiterlesen:

Editorische Notiz:

Zwei Frauen ist ein Literaturprojekt: Alle Texte hier sind fiktiv.

Die Texte orientieren sich an faktischen, historischen Gegebenheiten, um die Persönlichkeiten vorzustellen. Dennoch erheben sie weder journalistische noch wissenschaftliche Ansprüche der Gründlichkeit, sondern erlauben sich literarische Freiheit.

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