Elfriede & Nadine
Elfriede Jelinek & Nadine Gordimer
Briefe zwischen Nobelpreisträgerinnen
/ von Melani Jukić
Das erste Zusammentreffen der beiden Autorinnen fand in Hamburg während der Premiere des Theaterstücks „Stecken, Stab und Stangl“ von Elfriede Jelinek statt. In Erinnerung an ihre guten gemeinsamen Momente schreibt Nadine einen Brief an ihre alte Bekannte. Nadine starb 2014, und Jelinek beschloss, die Briefe in einen Theatertext zu verwandeln, der der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Der Text in Klammern hilft den Schauspielern, ihre Gefühle gegenüber den beiden Frauen, die sich gegenseitig einen Brief schreiben, besser auszudrücken.
Johannesburg, Jänner 2004
Liebe Frau Jelinek,
(kühn und stolz beginnt sie einen Brief zu schreiben) Wie Sie wissen, verbreitete sich die gute Nachricht schnell, und auch ich habe gesehen, dass Sie nun 2014 zu etwas Besonderem gemacht haben. Ihr Erfolg erinnert mich an 1991, als auch ich die Ehre hatte, für meine Arbeit einen Nobelpreis zu erhalten.
(nickt ihrem Mann mit dem Kopf zu) Mein Mann und ich sahen uns die Video-Zeremonie an und wir waren stolz auf Ihre Ankündigung, da wir wussten, dass Sie unter Agoraphobie und Sozialphobie leiden. (Hugo winkt glücklich zur Begrüßung) Hugo begrüßt Sie auf diese Weise und sagt Ihnen (wird für einen Moment ernst), dass Sie auf Kritik nicht hören sollen.
(ohne den Füllfederhalter aus ihrer Hand fallen zu lassen) Ich erinnere mich mit Freude an die Premiere des Theatertextes „Stecken, Stab und Stangl“, als ich das erste Mal zu dieser Ehre in Hamburg zu Besuch war.
(sie schreibt schnell weiter, als Hugo sie ungeduldig auf ein Glas Wein einlädt) Sie wissen selbst, dass mir Ihre Werke gefallen, weil Sie in Ihren Werken wütend über die herrschende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und das gewissenlose Verhalten der Menschheit, wie etwa die Umweltverschmutzung, schreiben.
(sie versteht den Ernst der Lage, hat aber einen positiven Geist) Ich weiß, dass Sie, wie ich, Ihre Privatsphäre aus der Öffentlichkeit heraushalten wollen, aber trotzdem versuchen Sie Ihr Bestes, um zu akzeptieren, dass Sie jetzt eine berühmte, öffentliche Persönlichkeit sind.
(sie schreibt in Eile und wird plötzlich neugierig und kann es kaum erwarten, eine Antwort zu erhalten) Ich frage mich, wie sich das wohl doch anfühlt? Schreiben Sie mir, wenn Sie die Zeit dafür finden.
Viele Grüße von mir und Hugo,
Nadine Gordimer
Wien, 2004
Liebe Frau Gordimer,
(mit Vergnügen schreibt sie die ersten Zeilen ihres Briefs) Vielen Dank für Ihre Nachricht. Als erste südafrikanische Schriftstellerin, die den Literaturnobelpreis erhielt, verstehen Sie die Last, die ich trage.
(sie verdreht die Augen) Wie ich mich fühle? Ich fühle mich glücklich und verzweifelt zugleich. Sie haben meine Verzweiflung erkannt, indem Sie von „Ruhm“ sprachen. (und fährt ironisch fort) Ich frage mich, ob ich am meisten ausgezeichnet wurde, weil ich eine Frau bin?! Ich denke, Sie könnten sich unter den österreichischen Schriftstellerinnen besser wiederfinden.
(sie wird entschlossen und ernst) Ich ignoriere die Kritik. Die Akademie reagierte mit Verständnis auf meine Abwesenheit. Ich denke, meine psychische Erkrankung ist ein guter Grund, nicht nach Stockholm zu fahren. Meine Krankheit hindert mich daran, überhaupt ins Kino zu gehen oder mit dem Flugzeug zu fliegen. Ich habe immer gerne (ihre (Lippen teilen sich zu einem Lächeln) Folgendes gesagt: „Solange ich Bücher und DVDs habe, verpasse ich nicht viel.“
(sie erinnert sich und ist aufgeregt) Ich habe Ihre Interviews von 1990 gesehen, als Sie sagten: „Ich habe das Leben um mich herum benutzt, und das Leben um mich herum war rassistisch. Ich würde überall Schriftsteller sein, aber in meinem eigenen Land bedeutete Schreiben, sich dem Rassismus zu stellen.“ Das Bewusstsein Ihrer Charaktere erlaubte es mir, das Gewicht der Apartheid zu erfahren und die Einfachheit Ihres Schreibens, einen Blick in die hässliche Realität der Unterdrückung zu werfen.
(fühlt sich dankbar) Nochmals vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Ich schicke Ihnen einen herzlichen Gruß,
Elfriede Jelinek
Elfriede Jelinek (*1946) ist eine österreichische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin (2004). Sie ist bekannt für ihre gesellschaftskritischen Texte und ihren provokanten Stil.
Nadine Gordimer (1923–2014) war eine südafrikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin (1991). Sie schrieb vor allem über die südafrikanische Apartheidpolitik.
Editorische Notiz:
Zwei Frauen ist ein Literaturprojekt: Alle Texte hier sind fiktiv.
Die Texte orientieren sich an faktischen, historischen Gegebenheiten, um die Persönlichkeiten vorzustellen. Dennoch erheben sie weder journalistische noch wissenschaftliche Ansprüche der Gründlichkeit, sondern erlauben sich literarische Freiheit.